LEOŠ JANÁČEK 

(1854–1928)

Wenngleich Leoš Janáček (1854-1928) von seinem Geburtsjahr her eher zur Generation Antonín Dvořáks gehört, zählt sein Werk zu den markantesten Leistungen der Musik des 20. Jahrhunderts und stellt ihn damit in eine Reihe mit Komponisten, die zwei Generationen jünger waren als er. Janáčeks Leben wie auch sein Werk sind eng mit Brünn verbunden, wo er seit seinen Jugendjahren lebte und sich als Komponist wie auch als unermüdlicher Organisator um das Aufblühen des Kulturlebens in der Stadt verdient machte.

Leoš Janáček wurde am 3. Juli 1854 als neuntes von vierzehn Kindern des Dorflehrers Jiří Janáček und seiner Ehefrau Amálie, geb. Grulichová, in Hukvaldy geboren. In den Erinnerungen an seine Kindheit erscheinen die Schule von Hukvaldy, die Bienenstöcke seines Vaters, der Berggipfel Babí hůra oder der Chor des kleinen Kirchleins, wo er bei Messen sang. Seine schulischen Leistungen waren eher durchschnittlich, doch er zeigte eine ungewöhnliche musikalische Begabung. Da sich der Gesundheitszustand des Vaters verschlechterte und das Geld immer knapper wurde, beschlossen die Eltern, den Sohn in einer Stiftung für musikbegabte Knaben aus armen Familien in Kremsier oder in Brünn unterzubringen. Da Janáčeks Vater mit dem Komponisten und Leiter der Brünner Schulstiftung Pavel Křížkovský befreundet war, fiel die Wahl auf die Schule am Königinkloster der Augustiner in Alt-Brünn. Der elfjährige Leoš reiste im August 1865 nach Brünn, womit seine Kindheit ein abruptes Ende fand.

Sie nahmen mich als Sängerknaben in Brünn wie in Kremsier auf; der Vater entschied sich für Brünn. Mit der Mutter nächtigten wir in Angst in irgendeinem dunklen Kämmerlein - das war am Kapuzinerplatz. Ich mit offenen Augen. Beim ersten Morgengrauen hinaus, nur hinaus! Auf dem Platz des Königinklosters verlässt mich die Mutter mit schwerem Schritt. Ich in Tränen, sie ebenso. Beide allein. Fremde, hartherzige Menschen; eine fremde Schule, eine harte Pritsche, noch härter das Brot. Keine Liebkosung. Eine Welt für mich, allein für mich begann. Alles fiel in sie hinein. Der Vater starb; eine nicht auszudenkende Grausamkeit.

                                                                                    Ein Blick in Leben und Werk (1924)


Leoš Janáček
im 1874
© 
Mährisches Landesmuseum 

Im Augustinerkloster wirkten zu jener Zeit einige herausragende Persönlichkeiten, so etwa der Komponist Pavel Křížkovský, der Begründer der Erblehre Johann Gregor Mendel und vor allem der aufgeklärte Abt Cyril Napp. Den Knaben von der Alt-Brünner Schulstiftung, die man damals Blaukehlchen nannte, wurde eine gründliche musikalische Ausbildung ermöglicht, während sie bei den Messen in der Basilika Mariä Himmelfahrt und bei musikalischen Anlässen im Kloster, aber auch bei Konzerten und Theateraufführungen in Brünn mitwirkten. Fast fünfzig Jahre später reflektierte Janáček das Leben im Kloster in seinem Marsch der Blaukehlchen, der einen Teil des Bläsersextetts Jugend bildet.

Im Augustinerkloster erwarb Janáček nicht nur die Grundlagen für sein musikalisches Schaffen, sondern auch eine solide Allgemeinbildung. In den Jahren 1866-1869 besuchte er die deutsche Realschule in Alt-Brünn, danach von 1869 bis 1872 die k. k. slawische Lehrerbildungsanstalt. Damit hatte Janáček gemäß dem Wunsch seines Vaters den Weg zum Lehrerberuf eingeschlagen. Doch gerade in jenem Jahr, als er sein Studium abschloss, wechselte der Leiter des Alt-Brünner Chors Pavel Křížkovský nach Olmütz, und Janáček wurde angeboten, Křížkovský während dessen Abwesenheit zu vertreten. Er nahm die Stelle an und wurde ein Jahr später außerdem Chorleiter des Handwerkerbunds Svatopluk (1873-1876). Zu jener Zeit begann er auch zu komponieren, seine ersten Werke waren die im Geiste seines großen Vorbilds Pavel Křížkovský geschriebenen Männerchöre Das Pflügen und Unbeständige Liebe. Darüber hinaus entschloss sich der junge Janáček, seine musikalische Bildung an der Prager Orgelschule weiter zu vertiefen, und kam so immer weiter von der anfangs gewählten Lehrerlaufbahn ab.

Aufnahmeprüfung im Prager Konvikt - in der Orgelschule.

Professor Blažek: "Wie löst sich der Dominantseptakkord auf?!"

Stille.

"Die Septime schreitet herab, die Terz hinauf, die Quinte steigt, der Grundton fällt. - Nicht einmal das weiß er."

Mir ging durch den Kopf:

Und die Septime ist nicht geschritten, die Quinte nicht gestiegen und der Grundton nicht gefallen!

Seit jener Zeit grüble ich über die Geheimnisse der Akkordverbindungen nach.

Ein Blick in Leben und Werk (1924)

Während des Studiums in Prag trat auch Janáčeks direkte Art zutage, die bisweilen zu Konflikten führte. So veröffentlichte er etwa in der Zeitschrift Cecílie seine Kritik an einer gregorianischen Messe, die der Direktor der Orgelschule František Skuherský geleitet hatte, und bemängelte dessen Ausführung des Chorals. Hierfür wurde er umgehend vom Studium ausgeschlossen.

Dieser Tag ist denkwürdig für mich, denn wegen der Wahrheit wurde mir Gewalt angetan.

Randnotiz Janáčeks in einem Schulheft 


Leoš Janáček
im 1882
© 
Mährisches Landesmuseum 

Schließlich konnte er dank der Fürsprache Pavel Křížkovskýs sein Studium beenden, das er sogar in einem einzigen Jahr statt der üblichen drei Jahre und mit ausgezeichnetem Erfolg abschloss. Janáčeks Aufenthalt in Prag markierte auch den Beginn seiner langjährigen Freundschaft mit Antonín Dvořák. Wieder nach Brünn zurückgekehrt, unterrichtete er an der Lehrerbildungsanstalt, daneben widmete er sich intensiv der Organisation von Konzerten in der Stadt, komponierte und dirigierte und leitete den Chor des Philharmonischen Vereins Beseda brněnská (1876-1888). Unter Janáčeks Leitung wurde die Beseda brněnská zu einem bedeutenden Klangkörper, mit dem er als Dirigent etwa Mozarts Requiem, Beethovens Missa solemnis oder Dvořáks Kantate Stabat mater aufführen konnte.

Ende der Siebzigerjahre gab Janáček der Tochter seines Vorgesetzten Emilian Schulz, des Direktors der Lehrerbildungsanstalt, Klavierstunden. Bald begann sich zwischen dem fünfundzwanzigjährigen Janáček und der jugendlichen Zdenka eine zärtliche Beziehung zu entwickeln. Im Jahr 1879 verließ Janáček Brünn, um zunächst am Leipziger und anschließend am Wiener Konservatorium zu studieren. Wenngleich er später bemerkte, dort sei nichts mehr weiter zu lernen gewesen, ist dennoch sicher, dass sich der junge Komponist bei seinen häufigen Konzertbesuchen gründlich mit der Musik der deutschen Romantik bekannt machen und herausragenden Pianisten wie Clara Schumann oder Anton Rubinstein lauschen konnte. Doch vergaß er auch seine Zdenči nicht - von den zahlreichen in Leipzig entstandenen Kompositionen widmete er ihr seine Zdenka-Variationen für Klavier, die er damals als sein bestes Werk betrachtete. Oft schrieb er ihr auch, bisweilen mehrere Briefe an einem Tag. Detailliert beschrieb er darin sein Studentenleben, doch offenbarte er ihr auch seine innersten Gefühle.

Liebe, gute Zdenči, dass ich für die Zukunft mein Glück allein darin sehe, Ihnen nach meinen Kräften die schönste Zukunft zu bereiten, dies möchten Sie bitte fest glauben...

Aus einem Brief an Zdenka Schulzová (13.10.1879)



Zdenka Janáčková im 1885
© 
Mährisches Landesmuseum 

Wenige Monate nach seiner Rückkehr heiratete Janáček im Jahr 1881 Zdenka Schulzová, doch die von ihm erträumte schöne Zukunft sollte ihrer Ehe nicht vergönnt sein. Schon kurz nach der Hochzeit stellte sich die erste ernsthafte Krise ein, die durch die Geburt von ihrer Tochter Olga nicht überwunden wurde und noch viele Monate andauerte. Am Ende war die Beziehung geregelt, aber die Ehe war nie wieder ganz glücklich.

Zu jener Zeit war Janáček mit seiner Arbeit mehr als ausgelastet. Neben allen bisherigen beruflichen Pflichten hatte er 1881 die Brünner Orgelschule gegründet, an der er als Direktor und gleichzeitig als Lehrer wirkte.

Der Gedanke einer Orgelschule in Brünn ist eine Idee, der ich wirklich seit den ersten Jahren meines selbständigen Denkens verfallen bin. Schon während meines Prager Studiums spielte ich mit dieser Idee, und in ihrer Verwirklichung sehe ich eine meiner größten Aufgaben.

Aus einem Brief an Zdenka Schulzová (29. 11. 1879)



Zu seiner kompositorischen Arbeit und den pädagogischen Pflichten kamen noch die Gründung und die Redaktion der Zeitschrift Hudební listy (1884-1888) und das Verfassen von Fachartikeln und Rezensionen hinzu. Aus dem armen Stiftungsschüler war dank seiner Begabung, seiner Ausdauer und seinem außergewöhnlichen Arbeitseinsatz eine respektierte Persönlichkeit des Brünner Kulturlebens geworden.

In den Jahren 1887-1888 schrieb Janáček seine erste Oper Šárka nach einem Text von Julius Zeyer, doch da er sich wegen seiner Gegnerschaft zu Smetana in Prag unbeliebt gemacht hatte, verweigerte ihm Zeyer die Verwendung des Librettos. Janáček musste daher die Arbeit an der Oper unterbrechen und wandte sich ihr erst 1919 wieder zu. Wenngleich dies sein erster Versuch einer Oper gewesen war, schätzte der Komponist dieses Werk auch dreißig Jahre später noch. 

Meine Šárka?

Alles daran ist meinen letzten Arbeiten so nah!

Ein Blick in Leben und Werk (1924)


Nach diesem Misserfolg und dem dramatischen Ende seiner Zusammenarbeit mit der Beseda brněnská im Jahr 1888 wandte sich Janáček mit der ihm eigenen Leidenschaft dem Studium der Volksmusik zu. Sein folkloristisches Interesse schlug sich etwa in der Herausgabe des 1890 erschienen Blumenstraußes mährischer Volkslieder nieder, aber auch in Kompositionen aus jener Zeit wie den Walachischen Tänzen, den Volkstänzen in Mähren, den Kleinen Königinnen oder dem Ballett Rákoš Rákoczy. Daneben schrieb Janáček seine zweite Oper Anfang eines Romans, die im Jahr 1894 unter seiner Leitung im Brünner Nationaltheater aufgeführt wurde. An dieses insbesondere vom Text her naive, wenn nicht gar einfältige Werk erinnerte sich Janáček später:

Der Anfang eines Romans war eine leere Komödie; es war geschmacklos, mir darin Volkslieder aufzunötigen. Schließlich war es nach Šárka! Hören Sie, wonach hätte ich zum Beispiel komponieren sollen!

Poluška: Ich kenne keinen liebenswürdigeren Herrn.

Er sprach nie ein schlechtes Wort -

Gott hörte ihn, auch Hain und Wald -

und er bat, ich möge heute kommen.

Ein Blick in Leben und Werk (1924)


In ihrer Familie mussten die Janáčeks in jener Zeit einen schweren Schicksalsschlag verkraften, als 1890 ihr Sohn Vladimír im Alter von zwei Jahren starb. Die Ehepartner entfremdeten sich immer mehr.

Nebeneinander, gemeinsames Unglück, gemeinsamer Schmerz, und dennoch jeder so allein... 

Erinnerungen: Zdenka Janáčková - mein Leben (1998)


Janáček blieb trotz allem gesellschaftlich sehr aktiv. Er wurde zum Ausschussmitglied der Genossenschaft des tschechischen Nationaltheaters in Brünn, und seine Liebe zur russischen Kultur bewegte ihn zur Gründung des Russischen Kreises. Später übernahm er außerdem den Vorsitz des Klubs der Kunstfreunde. 

Im Jahr 1894 entschloss sich Janáček als erster Komponist überhaupt, eine Oper auf der Grundlage eines Prosatextes zu schreiben. Er wählte dazu das realistische Drama Ihre Ziehtochter von Gabriela Preissová.

Die Arbeit an der Oper Jenůfa beschäftigte Janáček fast zehn Jahre, doch wählte er dabei einen völlig neuen und ungewöhnlichen kompositorischen Ansatz, durch den er von einem Provinzautor zu einem der weltweit führenden Komponisten aufsteigen sollte. Auf die vielfach gestellte Frage, weshalb sich Jenůfa derart von allen vorausgegangenen Werken unterscheidet, lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Sicherlich jedoch steht Janáčeks neuartiger Ansatz mit seinem intensiven Interesse an der menschlichen Sprache zusammen, in der er den psychischen Zustand eines jeden Menschen wie auch seine momentane Stimmung ausgedrückt sah. Janáček war überzeugt davon. dass sich die menschliche Sprache mit Hilfe der Notenschrift objektiv erfassen lässt. 

Mit der Aufzeichnung seiner Sprachmelodien, wie er sie nannte, begann er 1897, und er blieb diesem Steckenpferd bis zu seinem Tode treu. Doch notierte er nicht nur menschliche Äußerungen - unter den mehr als viertausend aufgezeichneten Melodien finden wir auch Hundegebell, das Summen von Mücken oder das Knarren von Holzdielen.

Die Sprachmelodien sind Ausdruckdes Gesamtzustands des Organismus und aller Phasen der geistigen Tätigkeit, die daraus hervorgehen. Sie zeigen uns einen blöden oder einen verständigen Menschen, einen schläfrigen oder einen wachen, einen müden oder einen regen. Sie zeigen uns ein Kind oder einen Greis; Morgen oder Abend, Licht oder Finsternis; Hitze oder Frost; Einsamkeit oder Gesellschaft. Die Kunst bei dramatischen Kompositionen ist es, eine Melodie zu schreiben, bei der wie durch ein Wunder sofort ein menschliches Wesen in einer bestimmten Lebensphase erscheint.

Letztes Jahr und heuer (Hlídka XXII, 1905)


Olga Janáčková
im 1902
© 
Mährisches Landesmuseum  

Seine Oper Jenůfa vollendete Leoš Janáček im Februar 1903, dem traurigsten Moment seines Lebens. Die Janáčeks verloren damals auch ihr zweites Kind, als ihre geliebte Tochter Olga im Alter von einundzwanzig Jahren starb. 

Ich würde Jenůfa nur mit einer schwarzen Schleife binden für die lange Krankheit, die Schmerzen und das Wehklagen meiner Tochter Olga und meines Söhnchens Vladimír.

Ein Blick in Leben und Werk (1924)


Leoš Janáček
im 1904
© 
Mährisches Landesmuseum  

Wenig später bot Janáček Jenůfa dem Prager Nationaltheater an, doch es dauerte nicht lange, bis ihm die Oper mit einer knappen Erklärung der Theaterleitung zurückgesandt wurde, wonach sie nicht zur Aufführung angenommen werden könne. Für Janáček war dies ein gewaltiger Rückschlag. Er verfiel in Depressionen und eine Schaffenskrise. Jenůfa wurde schließlich am Brünner Nationaltheater uraufgeführt, doch trotz der gelungenen Premiere am 21.Januar 1904 war dies eher ein regionaler Erfolg. Noch im selben Jahr ersuchte Janáček um seine Pensionierung, um sich ganz seiner Orgelschule und dem Komponieren widmen zu können. Zu jener Zeit begannen auch seine regelmäßigen Besuch im Heilbad Luhačovice.

Was habe ich in diesem Kurort gesucht? Dreißig, fünfunddreißig oder vierzig Stunden in der Woche unterrichten, beim Gesangsverein dirigieren, Konzerte leiten, den Chor des Königinklosters führen, daneben Jenůfa komponieren, heiraten, die Kinder verlieren - es war nötig, mich selbst zu vergessen.

Ein Blick in Leben und Werk (1924)


Bei einem seiner Aufenthalte in Luhačovice lernte er Kamila Urválková kennen, deren Lebensgeschichte ihn zum Schreiben der Oper Schicksal inspirierte.

Und sie war eine der schönsten Damen. Ihre Stimme war die einer Viola d'amore. Der Heilbrunnen von Luhačovice lag in der Augustsonne. Warum spazierte sie mit drei feurigen Rosen, und warum erzählte sie ihren jungen Roman? Und warum war dessen Ende so seltsam? [...] Und ein Werk nur vom Ton her klagend, nur vom Wort her weiblich, genannt Schicksal - Fatum.

Ein Blick in Leben und Werk (1924)


Leoš Janáček im 1906 in Luhačovice © Mährisches Landesmuseum 

Mit der Einstudierung der Oper aus dem Milieu des Heilbads Luhačovice wurde das Prager Theater in den Weinbergen beauftragt, doch kam das Stück dort nicht zur Aufführung, da es für das Orchester wie für die Sänger zu anspruchsvoll war. Letztere verfassten sogar eine Petition, dass sie sich mit den Rollen in der Oper Schicksal nicht die Stimmbänder ruinieren lassen wollen. Seinen Anteil hatte aber wohl auch das etwas problematische Libretto. Als einzige Oper Janáčeks erlebte Schicksal schließlich keine Aufführung mehr zu seinen Lebzeiten. Musikalisch jedoch zählt die Oper zu Janáčeks bemerkenswertesten Kompositionen, so setzte er hier etwa erstmals die altertümliche Viola d'amore ein, welche später noch in einigen weiteren seiner Werke zu Ehren kommen sollte. 


Einen wichtigen Moment im Schaffen Leoš Janáčeks markierte seine Begegnung mit den Gedichten Petr Bezručs, deren soziale Thematik ihm naheging.

Ihre Worte kamen wie gerufen. Und ich erlebte durch sie einen klanglichen Sturm der Wut, der Verzweiflung und des Schmerzes.

Aus einem Brief an Petr Bezruč (1.10.1924)


Die Chöre Kantor Halfar, Maryčka Magdónová und 70 000 widmete er zum Teil dem jungen Sängerbund der mährischen Lehrer, welcher sie innerhalb kurzer Zeit an zahlreichen Orten in Europa zur Aufführung brachte. Doch Janáčeks größter Wunsch, dass in Prag endlich seine Oper Jenůfa zur Aufführung käme, blieb weiterhin unerhört.

Ich will meine erneute Bitte, dass Jenůfa auf der Bühne des Prager Nationaltheaters Gehör gewährt werden möge, nicht auf die schmeichelhaftesten Prager Kritiken stützen, geschweige denn auf die hiesigen. Ich beklage nur, dass die Ablehnung von Jenůfa ungerecht war. Ich beklage dies als ein tschechischer Komponist, dem kein Gehör gewährt werden will.

Aus einem Brief an Karel Kovařovic (9.2.1904) 


Janáček verlor immer mehr an Selbstvertrauen. Er vernichtete einige seiner Werke, so etwa das Klavierstück 1. X. 1905 (Von der Straße) oder das Manuskript der Oper Jenůfa. Im Jahr 1914, als er sein sechzigstes Lebensjahr vollendete, führte Janáček das zurückgezogene Leben eines unverstandenen Provinzkomponisten. Doch dies sollte sich bald ändern.

Leoš Janáček im Garten seines Hauses in Brno mit Hund Čert (um 1910) ©  Mährisches Landesmuseum
Leoš Janáček im Garten seines Hauses in Brno mit Hund Čert (um 1910) © Mährisches Landesmuseum

Leoš Janáček im 1917 in Luhačovice © Mährisches Landesmuseum 

Unter Aufbietung diplomatischen Geschicks gelang es dem Vorsitzenden des Brünner Klubs der Kunstfreunde Dr. František Veselý und seiner Gattin, der Schriftstellerin und Sängerin Marie Calma, den Direktor des Prager Nationaltheaters Gustav Schmoranz und den Dirigenten Karel Kovařovic zur Einstudierung der Oper Jenůfa zu bewegen. Den von Kovařovic verlangten Änderungen stimmte Janáček zu, obgleich sie vor allem bei der Instrumentierung einen großen Eingriff in das Werk bedeuteten. Und so fand denn im Mai 1916 die feierliche Prager Premiere statt. Der bis dahin fast unbekannte und unterschätzte Janáček erlebte im Alter von zweiundsechzig Jahren seinen Durchbruch als Opernkomponist, dessen originelle Werke ohne das Pathos und die billigen Effekte auskamen, wie man sie aus manchen veristischen Opern kannte. Zu jener Zeit entstand nicht nur die enge Beziehung Janáčeks zu Gabriela Horvátová, die in der Prager Inszenierung die Küsterin spielte, sondern auch die Freundschaft zu Max Brod, der "zur rechten Zeit kam wie vom Himmel gesandt". Brod machte den Wiener Musikverlag Universal Edition auf Jenůfa aufmerksam und übersetzte die Oper ins Deutsche. Die Wiener Hofoper zeigte sich interessiert und brachte das Werk im Februar 1918 auf die Bühne, wodurch Janáček mit einem Mal weltweite Bekanntheit genoss. Es sei nur daran erinnert, dass Jenůfa bereits 1924 von der New Yorker Metropolitan Opera aufgeführt wurde. Nach der Prager Premiere seiner Jenůfa vollendete Janáček die Rhapsodie Taras Bulba und die Oper Die Ausflüge des Herrn Brouček.

Die Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Herbst 1918 erlebte Janáček voller Schaffenskraft und Zukunftspläne.

Ich komme mit dem jungen Geist unserer Republik, mit junger Musik. Ich bin keiner, der zurückblickt, sondern jemand, der lieber vorwärts schaut. Ich weiß, dass wir wachsen müssen, und ich sehe dieses Wachstum nicht in Schmerzen, in Erinnerungen an Leid und Unterdrückung. Werfen wir all dies ab. Wir sind ein Volk, das in der Welt etwas bedeuten soll. Wir sind das Herz Europas. Dieses Herz muss in Europa zu spüren sein!

Aus Janáčeks Rede in London 1926



Leoš Janáček und Kamila Stösslová in Luhačovice im Jahr 1927 © Mährisches Landesmuseum

Die verbleibenden zehn Jahre bis zu seinem Tod waren Janáčeks fruchtbarste Schaffensperiode. Die ungeahnte Dynamik und die Energie, die der Komponist auf seine alten Tage versprühte, sind ein Rätsel, das auch Janáček selbst in einem seiner Brief an seine Freundin Kamila Stösslová thematisierte. Janáček hatte die damals fünfundzwanzigjährige Kamila im Jahr 1917 kennen gelernt, und ihre Freundschaft dauerte bis zum Tod des Komponisten an. Für Janáček war Kamila eine Quelle der Inspiration, die Verkörperung seines Frauenideals, und es störte nur wenig, dass die Wirklichkeit eine etwas andere war.

Und die Leute? Sie machen große Augen; ich habe Erfolg, meine Kompositionen sind voller Leidenschaft. Woher nimmt dieser Mensch sie! Ein Rätsel. Sie bohren wie Maulwürfe darin, es zu lösen. Ich würde so gern laut ausrufen, Dich emporheben und zeigen: Schaut, mein liebes, geliebtes Lebensrätsel!

Aus einem Brief an Kamila Stösslová (12.3.1923)


Janáček erlebte zweifellos die produktivsten Jahre seines Lebens. Im Jahr 1920 schrieb er das symphonische Gedicht Blaník-Ballade, ein Jahr später vollendete er seine Oper Katja Kabanowa und begann die Arbeit an der nächsten Oper Das schlaue Füchslein.

Ich habe nach dem Füchslein gegriffen wegen des Waldes und wegen der Trauer der letzten Jahre. Eine heitere Geschichte mit einem traurigen Ende; und ich selbst stehe an diesem traurigen Ende.

Aus einem Brief an Kamila Stösslová (3. 4. 1923)


Im Jahr 1923 vollendete er sein erstes Streichquartett Nach Tolstois Kreutzersonate und komponierte eine Oper nach Karel Čapeks Sache Makropulos. Er besuchte die Festivals der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM), wo er in einer Reihe mit den jungen Avantgardisten stand, und unternahm eine Tournee durch England. 

Leoš Janáček in der Sommerresidenz des Dirigenten Sir Henry Wood bei einem Besuch in England im Jahr 1926  ©  Mährisches Landesmuseum
Leoš Janáček in der Sommerresidenz des Dirigenten Sir Henry Wood bei einem Besuch in England im Jahr 1926 © Mährisches Landesmuseum

Im Jahr 1925 wurde ihm das erste Ehrendoktorat in der Geschichte der Masaryk-Universität verliehen, zwei Jahre später wurde er zusammen mit Arnold Schönberg und Paul Hindemith zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt, und im selben Jahr zeichnete ihn der belgische König Albert - unter dem Eindruck des großen Erfolgs der Oper Jenůfa in Antwerpen - mit dem Leopoldsorden aus. Sein Capriccio aus dem Jahr 1926 für Klavier linker Hand und Kammerensemble widmete Janáček dem Pianisten Otakar Hollmann, welcher im Ersten Weltkrieg eine Hand verloren hatte, und markierte damit den Beginn einer Reihe von Kompositionen, die mehrere weltbekannte Komponisten für Kriegsinvalide schrieben. Im selben Jahr entstanden auch Janáčeks berühmtestes Orchesterwerk Sinfonietta, welches er seiner Heimatstadt Brünn widmete, und die nicht weniger bekannte Glagolitische Messe.

Ohne die Düsterkeit der mittelalterlichen Klosterzellen in den Motiven, ohne den Nachhall stets gleicher Imitationsgeleise, ohne den Nachhall des Beethovenschen Pathos, ohne Haydns Verspieltheit; gegen die papiernen Dämme der Wittschen Reform - durch die uns Křížkovský genommen wurde! Mein Weihrauch war stets der Duft der lauen Wälder von Luhačovice.

Die Glagolitische  Messe, Lidové noviny 1927


Leoš Janáček im 1926 © Mährisches Landesmuseum  

Je älter Janáček war, desto progressiver und jugendlicher wurde seine Musik. Sie entsprang einem Menschen voller Kraft und Energie. Als nach der Brünner Premiere der Glagolitischen Messe Ludvík Kundera in seiner Kritik die Worte "Janáček ein alter Mann, ein Mensch von festem Glauben" wählte, teilte ihm der Komponist kurz und klar mit: "Kein alter Mann, kein Glauben! Jüngelchen!"

In seinem letzten Lebensjahr arbeitete Janáček an der Oper Aus einem Totenhaus. Diesem Werk lag ein Roman Dostojewskis zugrunde, den der Komponist selbst aus dem Russischen übersetzte und als Libretto adaptierte. Außerdem komponierte er sein zweites Streichquartett Intime Briefe, das er gleichsam als ein persönliches musikalisches Tagebuch Kamila Stösslová widmete.

Jetzt habe ich etwas Schönes zu schreiben begonnen. Darin wird unser Leben sein. Es wird Liebesbriefe heißen... Das Ganze wird von einem besonderen Instrument zusammengehalten. Es heißt Viola d'amore - Viola der Liebe. Ach, ich freue mich darauf! In dieser Arbeit werde ich immer nur mit Dir sein! Niemand Drittes außer uns. Voll der Sehnsucht wie dort bei Dir in unserem Himmel! Das werde ich so gern tun! Du weißt doch, dass ich außer Dir keine andere Welt kenne! Du bist mir alles, ich will nichts außer Deiner Liebe.

Aus einem Brief an Kamila Stösslová (1. 2. 1928)


Leoš Janáček in Prag auf Bertramka im Jahre 1928 © Mährisches Landesmuseum

Ende Juli 1928 fuhr Janáček nach Hukvaldy, wo ihn auch Kamila mit ihrem Sohn Otto besuchte. Janáček hatte eine Abschrift der Partitur von Aus einem Totenhaus dabei, an der er noch Korrekturen und Ergänzungen vornehmen wollte. Die Vollendung seiner Arbeit war ihm jedoch nicht mehr vergönnt. Mit einer starken Erkältung wurde er in das Kleinsche Sanatorium in Ostrava eingeliefert, wo die Röntgenuntersuchung ergab, dass er an einer Lungenentzündung litt. Janáček verstarb am Sonntag, dem 12. August 1928 um zehn Uhr vormittags in Ostrava. Drei Tage später wurde einer der bemerkenswertesten Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts auf dem Brünner Zentralfriedhof beigesetzt. Der Tod hatte ihn gerade zu einem Zeitpunkt ereilt, als auf dem neu angelegten Brünner Ausstellungsgelände die "Ausstellung zeitgenössischer Kultur in der Tschechoslowakei" ihren Höhepunkt erreichte und die Stadt sich als jenes kulturelle Zentrum feiern konnte, zu dem es nicht zuletzt durch das unermüdliche Wirken Janáčeks geworden war.

Auf dem von Janáček geschaffenen kulturellen Fundament steht das moderne Brünn bis heute. Noch zu seinen Lebzeiten wurde aus der Orgelschule das Brünner Konservatorium, im Jahr 1947 wurde die Janáček-Akademie der musischen Künste gegründet, neun Jahre später entstand die Brünner Philharmonie, und 1965 schließlich wurde der neue, moderne Bau des Janáček-Theaters eingeweiht, wo das Werk dieses Komponisten heute einen festen Platz im Repertoire hat. Seit 2004 wird in der Stadt das internationale Opern- und Musikfestival Janáček Brno abgehalten, und in absehbarer Zeit ist nun auch mit der Fertigstellung des Janáček-Kulturzentrums zu rechnen - eines neuen Konzertbaus, wo auch die Philharmonie Brünn ihren Sitz haben wird.

Wäre da nicht dieser besondere Nebel der Gefühle, das ererbte Gehirn und das Blut, dass in der Jugend der erhabenen Natur in mir kreist! Das Gefühl macht den Komponisten aus; nicht so sehr die wissenschaftliche als eher die emotionale Basis. Ich staune über die tausenderlei und tausenderlei Rhythmen aus den Welten des Lichts, der Farben, der Klänge und des Tastbaren, und mein Ton verjüngt sich durch die ewige rhythmische Jugendlichkeit der ewig jungen Natur.

Man sagt, ich lebe schon seit siebzig Jahren! Man feiert die Jahre. In einem Brief aus Písek lese ich: "Warum feiert man nicht, dass Sie überhaupt geboren wurden?"

Ein Blick in Leben und Werk (1924)